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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 10 B 1350/04
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2
BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2
1. Ob eine Schank- und Speisewirtschaft der Versorgung eines Allgemeinen Wohngebiets dient, muss auch für ein Fastfood-Restaurant (hier: "subway"-Filiale) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.1.1993 - 4 B 230.92 - , BRS 55 Nr. 54, und vom 3.9.1998 - 4 B 85.98 - , BRS 60 Nr. 67).

2. Ein im Allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässiger sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) muss nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift nicht darauf beschränkt sein, lediglich der Gebietsversorgung zu dienen.


Tatbestand:

Die Antragstellerin betreibt als Franchisenehmerin für die Kette "subway" in einem durch Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet festgesetzten Gebiet eine Sandwichbar. Der Antragsgegner sprach durch die angegriffene Ordnungsverfügung eine Nutzungsuntersagung ausund erklärte sie für sofort vollziehbar. Er war der Meinung, die Sandwichbar diene nicht der Versorgung der umliegenden Wohngebiete, sondern wende sich vor allem an Kunden aus dem nahe gelegenen Sondergebiet Universität. Das VG lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagungsverfügung vom 2.2.2004 ausgesprochen, weil er die derzeit durchgeführte Nutzung der von der Antragstellerin betriebenen Gaststätte als "subway"-Filiale als formell illegal und materiell nicht offensichtlich genehmigungsfähig einstuft. Diese Annahme hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Antragstellerin stützt sich auf die Baugenehmigung vom 10.10.2003, mit der eine Nutzung der Räumlichkeiten als "Schank- und Speisewirtschaft zur Versorgung des örtlichen Wohngebiets" (Betriebsbeschreibung zum Bauantrag) - ohne zusätzlichen eigenständigen Erklärungsinhalt ist das Vorhaben im Bauantrag und in der Baugenehmigung auch als "Kaffeewirtschaft" bezeichnet - erlaubt worden ist. Nach der mit dem Bauantrag vorgelegten Betriebsbeschreibung werden halbfertig angelieferte Waren zu kalten und warmen Speisen für Frühstück, Mittag- und Abendessen verarbeitet und zum Verzehr an Ort und Stelle oder zum Verkauf außer Haus angeboten. Ob sich der Betrieb der Antragstellerin noch im Rahmen der Bandbreite dieser Baugenehmigung hält oder diese überschreitet, lässt sich auf der Grundlage des in den Akten befindlichen Materials und der im Orts- und Erörterungstermin gewonnenen Erkenntnisse nicht mit abschließender Sicherheit feststellen. Allerdings spricht Überwiegendes dafür, dass der Betrieb der Antragstellerin - entgegen der Annahme des Antragsgegners - als Betrieb mit Gebietsversorgungscharakter im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO eingestuft werden kann, insoweit der Baugenehmigung entspricht und deshalb nicht formell illegal ist.

Zwar reicht es für die Annahme, dass eine Gaststätte im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO der Gebietsversorgung dient, nicht aus, wenn die betroffene Gaststätte in untergeordnetem Maß auch auf die Wohnbevölkerung des sie umgebenden Allgemeinen Wohngebiets zielt; sie muss diesem nach ihrem Betriebskonzept vielmehr funktional zugeordnet sein und ihm in diesem Sinne dienen. Das ist nicht der Fall, wenn sie von gebietsfremder Laufkundschaft oder von den im Wohngebiet berufstätigen Personen aufgesucht, von den in diesem Gebiet wohnenden Personen hingegen allenfalls gelegentlich besucht wird.

BVerwG, Beschlüsse vom 18.1.1993 - 4 B 230.92 -, BRS 55 Nr. 54; und vom 3.9.1998 - 4 B 85.98 -, NBRS 60 Nr. 67; Urteil vom 29.10.1998 - 4 C 9.97 -BRS 60 Nr. 68.

Die Frage der Gebietsversorgung ist für jeden Einzelfall unter Würdigung der konkreten Umstände zu beantworten. Ein Indiz für die funktionale Zuordnung einer Gaststätte zu einem Wohngebiet ist neben der gebietsangemessenen Betriebsgröße und einem darauf abgestimmten Nutzungskonzept die fußläufige Erreichbarkeit der Gaststätte; umgekehrt ist die allein auf den Gaststättentyp abstellende Annahme, ein Fastfood-Restaurant könne seiner Art nach nicht der Versorgung eines Allgemeinen Wohngebiets dienen, regelmäßig nicht gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den in den Akten befindlichen Angaben zur Betriebsgröße und -struktur, zu dem Betriebskonzept der Antragstellerin sowie aus den im Rahmen der Ortsbesichtigung gewonnenen Erkenntnissen über die Ausdehnung der umliegenden Wohngebiete und über die Betriebsergebnisse der Gaststätte insbesondere an Wochenenden und in den Semesterferien Folgendes:

Anders als es sich aus der in den Akten befindlichen Planskizze ergibt, ist der Betrieb der Antragstellerin nicht nur von den mit WA 27, WA 28 und WA 29 bezeichneten Wohngebieten umgeben; vielmehr sind drei zusätzliche Neubauwohngebiete entstanden, die den vorhandenen Wohnungsbestand erheblich erweitert haben. Damit dürfte ein Kundenpotenzial vorhanden sein, das für die Antragstellerin nach ihren - vom Antragsgegner nicht in Zweifel gezogenen - Angaben die Grundlage für einen wirtschaftlich sinnvollen Betrieb bietet. Alle erwähnten Wohngebiete müssen unabhängig von den jeweils durch Bebauungsplan festgesetzten Gebietsgrenzen in die Betrachtung einbezogen werden, da sie in fußläufiger Entfernung vom Betrieb der Antragstellerin liegen und nach ihrer Anordnung und Struktur realistischerweise erwarten lassen, dass die Gaststätte allein durch die Bewohner dieser Gebiete in einem nennenswerten Umfang ausgelastet werden könnte; hierfür spricht auch der Umstand, dass an Wochenenden oder in den Semesterferien nach Angaben der Antragstellerin hinreichende Umsätze erzielt werden. Dass die Gaststätte der Antragstellerin mit ihrem Angebot offenkundig auch Personen anspricht, die an der nahe gelegenen Universität studieren oder berufstätig sind, stellt diese Annahmen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht in Frage. Denn zum einen fehlt es an jeglichen Ermittlungen dazu, inwieweit sich dieser Personenkreis mit dem Kreis der Bewohner der genannten Wohngebiete überschneidet. Zum anderen beruht die Annahme des Antragsgegners, der Betrieb der Antragstellerin ziele in erster Linie auf Nutzer aus dem Universitätsbereich, lediglich auf einzelnen Hinweisen der Antragstellerin zur Wahl des Standortes sowie auf nicht näher erläuterten Annahmen des Antragsgegners selbst und ist durch konkret ermittelte Erkenntnisse nicht belegt. Den Akten lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass das Betriebskonzept der Antragstellerin die im Umfeld der Universität angesprochene Kundschaft als den eigentlichen Kern des für den Betrieb erforderlichen Kundenpotenzials ansähe.

In dieser Situation fällt die im gerichtlichen Eilverfahren vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragsgegners an der Untersagung einer (möglicherweise) formell illegalen Nutzung und dem Interesse der Antragstellerin daran, die Nutzung zunächst bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens durchführen zu können, zugunsten der Antragstellerin aus. Auf der Grundlage der bisher angestellten Ermittlungen ist nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine formell illegale Nutzung nicht vorliegt. Mithin ist es unwahrscheinlich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung überhaupt gegeben sind. Deshalb wiegt das Interesse der Antragstellerin an der vorläufigen Fortführung ihres Betriebes schwerer als das Interesse an der vorläufigen Durchsetzung der erlassenen Ordnungsverfügung.

Für dieses Ergebnis der Interessenabwägung spricht auch der Umstand, dass eine ausnahmsweise Zulassung für den Betrieb der Antragstellerin auf der Grundlage von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zu erwägen wäre, selbst wenn eine auf § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gestützte Nutzungsänderungsgenehmigung nicht in Frage kommen sollte. In einem Allgemeinen Wohngebiet kann ausnahmsweise ein sonstiger Gewerbetrieb zulässig sein, wenn von ihm keine Störungen ausgehen. Dies dürfte - vorbehaltlich weiterer Ermittlungen - auf den Betrieb der Antragstellerin zutreffen. Denn auf Grund der konkreten Betriebsabläufe und der Lage des Betriebes an der Ecke U -Straße / C.-Straße ist mit wohngebietsunverträglichen Emissionen nicht zu rechnen. Insbesondere wird kein Verkehr in das Wohngebiet hineingezogen, der die gebietstypische Wohnruhe beeinträchtigen würde, weil Kunden, die nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, auf der U.-Straße unmittelbar vor dem Betrieb halten und die ruhigeren Seitenstraßen ,insbesondere die C-Straße nicht nutzen müssen. Von dem Betrieb selbst mit einer genehmigten Anzahl von nur 20 Sitzplätzen gehen keine nennenswerten Störungen aus; Nachbarbeschwerden sind nach Aktenlage bisher nicht aufgetreten. Einer Genehmigung als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb würde auch nicht entgegenstehen, dass der Betrieb - für den Fall, dass nach seinem Betriebskonzept eine Genehmigung als Gebietsversorger nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO ausscheiden sollte - überwiegend auf die außerhalb des Allgemeinen Wohngebiets ansässige oder dort arbeitende Bevölkerung abzielen müsste. Denn § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO verlangt einen derartigen Gebietsbezug im Unterschied zu § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO und entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners gerade nicht.

OVG NRW, Beschluss vom 25.2.2003 - 10 B 2417/02 -, BauR 2003, 1011; Stock, in: König / Roeser / Stock, BauNVO, 2. Auflage, § 4 Rn 73 m.w.N.; Reidt, in: Gelzer / Bracher / Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Auflage 2004, Rn 1378 ff.; Boeddinghaus, BauNVO, 5. Auflage 2005, § 2 Rn 30; Bönker, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, 3. Auflage 2004, § 4 Rn 37; die abweichende Ansicht von Fickert / Fieseler, BauNVO, § 4 Rn 9.4 und § 2 Rn 25.17, findet keine Stütze im Wortlaut oder im Sinn und Zweck der Vorschrift.

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